INTERVIEW

Wie war deine Kindheit?
Ich verbinde meine Kindheit mit viel Freiheit und Leichtigkeit, endlos wirkenden abenteuerlichen Tagen, phantasievollen Spielen mit den Kindern der Nachbarschaft, mit Wohnstraßen ohne Autoverkehr, auf denen wir unbekümmert radeln, Rollschuh fahren und im Winter schlindern konnten.

Welche Erinnerungen hast du an deine Jahre an der Grundschule?
Damals hieß sie noch Volksschule. In meinen ersten Schuljahren machte das Lernen mir Freude. Nach dem vierten Schuljahr wechselte ich dann zum Gymnasium, und dort ließ die Lernfreude etwas nach.

Woran lag das?
Unter anderem an Fächern, die mir nicht lagen, wie Mathematik, Physik und Chemie. Andere mochte ich schon, zum Beispiel Englisch, Musik und Sport. Die Zeit, in der ich Hausaufgaben hätte machen sollen, verbrachte ich lieber auf Tennisplätzen. Ich nahm an vielen Jugendturnieren teil, bei denen ich versilberte Trophäen gewann, die mit der Zeit braun anliefen. Am Gymnasium tat ich nur das Allernötigste, um auf dem Langstreckenlauf zum Abitur keine Ehrenrunde drehen zu müssen.

Hattest du nach dem Abitur einen beruflichen Lebensplan?
Weder einen beruflichen noch einen privaten. Ich wußte nur, daß ich erst einmal studieren wollte. Während des Studiums, hoffte ich, würde sich schon der Weg zeigen, den ich einschlagen sollte. Ich habe mich dann an der Universität Freiburg für zwei Fächer immatrikuliert, die mir schon am Gymnasium gefielen und leichtfielen: Englisch und Sport. In Freiburg veränderte sich mein Lebensgefühl von Grund auf, ich wurde freier, sensibler, bewußter und offener. Zum ersten Mal hatte ich viel Zeit und die Muße, mich ernsthaft und tief zu fragen, was für mich im Leben wirklich zählt.

Welche Antworten hast du gefunden?
Daß es zwei Leitsterne am Himmel meines Lebens gibt: Freiheit und Liebe. Daß Literatur und Musik für mich geistige und emotionale Lebensmittel sind. Daß meine Seele weiß, was gut und wichtig ist, und ich nur ihrem Rat folgen muß, um die richtigen Wege zu gehen.

Wie empfindest du rückblickend deine Studentenjahre in Freiburg?
Es war eine der besten Zeiten meines Lebens. In diesen Jahren stellten sich die Weichen für den Kurs in meine Zukunft. Ich lernte wertvolle Menschen kennen, blühte geistig und seelisch auf und hatte wunderbare Erlebnisse. Ich lebte im Hier und Jetzt, entdeckte meine spirituelle Ader, sammelte wichtige Erfahrungen mit Yoga und Meditation, beschäftigte mich mit Buddhismus und Taoismus. Ich erlebte eine tiefgreifende innere Verwandlung, gab das Tennisspielen auf und führte ein ganz neues Leben.

Wann hast du mit dem kreativen Schreiben angefangen?
Während meines Studiums. Mein erstes Gedicht habe ich mit neunzehn geschrieben, meinen ersten Roman (eigentlich eher eine Reiseerzählung) mit dreiundzwanzig. Ich habe aber zu diesem Zeitpunkt nicht daran zu denken gewagt, daß aus dem Schreiben einmal mehr werden könnte als ein Hobby.

Wann hast du dir zum ersten Mal gewünscht, als Schriftsteller zu leben?
Nach Beendigung meines Studiums. Ich hatte mir in meinen Studentenjahren immer wieder die beiden großen Fragen gestellt: Wer bin ich? Wie will ich leben? Die Antworten fielen schließlich klar und eindeutig aus: Ich bin eine Künstlerseele und will als Künstler leben. Mein größtes künstlerisches Talent lag im kreativen Umgang mit der Sprache. Also sagte ich mir, daß der Beruf des Schriftstellers wohl der richtige für mich sei. Es hat dann aber noch sechs Jahre gedauert, bis ich den Wunsch, als Schriftsteller zu leben, in die Tat umsetzte.

Was hat dich so lange daran gehindert?
Mir war bewußt, daß nur ein paar von tausend Schriftstellern vom Schreiben leben können. Also habe ich ein Referendariat absolviert und anschließend zwei Jahre als Lehrer an der gymnasialen Oberstufe gearbeitet. Mit der Absicht, auf diese Weise das Geld zu verdienen, das ich zum Leben brauchte, und in meiner Freizeit zu schreiben. Aber die Energie, Sensibilität und Kreativität, die ich zum Schreiben brauchte, verlor ich im Schulbetrieb. Es lief darauf hinaus, daß ich mich entscheiden mußte zwischen einem Leben als Lehrer oder als Schriftsteller.

War das eine schwierige Entscheidung?
Ja. Ich hatte zwar schon in Zeitschriften und im Rundfunk Gedichte veröffentlicht und auch Honorare dafür bekommen, von denen ich aber nicht meine Miete hätte bezahlen können. So hatte ich aber immerhin die Erfahrung im Rücken, daß Verleger, Herausgeber und Redakteure bereit waren, Geld für meine schriftstellerische Arbeit zu zahlen. Meine Vernunft empfahl mir trotzdem dringend: Bleib Lehrer, damit bist du auf der sicheren Seite. Meine Seele riet mir ebenso dringend: Werde Schriftsteller, damit bist du auf der richtigen Seite. Der Verstand hat Klugheit, aber die Seele hat Weisheit. Deshalb folgte ich meiner Seele.

Wie waren deine ersten Jahre als Schriftsteller?
Ich spünrte, daß ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, was meinem Lebensgefünl Flüngel verlieh. Endlich hatte ich Zeit genug für die wichtigsten Dinge des Lebens – und Muße und Energie für das Schreiben. Ich hatte geringe Festkosten und lebte genügsam. So kam ich in den ersten Jahren finanziell halbwegs elegant über die Runden, vor allem mit den Honoraren für Hörspiele, die ich für den NDR-Jugendfunk schrieb. Ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre konnte ich dann von den Tantiemen meiner Bücher leben.

Du hast einige Bestseller geschrieben. Die Gesamtauflage deiner Bücher liegt bei fast drei Millionen. Hättest du damit gerechnet?
Mit einer solchen Resonanz hätte ich nicht im entferntesten gerechnet, obwohl ich schon immer zum Optimismus neigte. Aber hätte mir jemand solche Auflagenzahlen prophezeit, als ich meine ersten Bücher veröffentlichte, hätte ich ihn wohlwollend ausgelacht.

Worin siehst du die Gründe dieser Resonanz?
Damit, daß ich wohl etwas zu sagen und zu geben habe, das vielen Menschen etwas sagt und gibt – jenseits von Moden, Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen. Denn meine Leser wertschätzen meine Bücher seit Beginn der achtziger Jahre bis zum heutigen Tag.

Kannst du konkretisieren, was du zu sagen und zu geben hast?
Mir wurde oft von Lesern geschrieben, daß meine Bücher zugleich Tiefe und Leichtigkeit haben, daß sie Freude, Genuß und Weisheit vermitteln. Daß sie Herz und Seele berühren, Mut und Hoffnung machen, Kraft und Heiterkeit schenken, Zauber ausstrahlen. Daß sie dazu inspirieren, sich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren. Auf meiner Webseite habe ich kleine Auszüge aus Zuschriften meiner Leser zitiert, unter Leserstimmen. Diese Zitate erklären den dauerhaften Erfolg meiner Bücher vielleicht besser, als ich es könnte.

Du hast mittlerweile hundertvierzig Bücher veröffentlicht. Bist du schreibsüchtig?
Schreibbegeistert wäre das bessere Wort. Schreiben ist für mich Berufung und Beruf, Leidenschaft und Abenteuer, Schaffensfreude und Erkenntnisfindung – und mehr, es ist vieles auf einmal. Es ist ein Teil meines Lebens und meiner Lebensqualität.

Genießt du deinen Erfolg?
Natürlich. Umso mehr, weil ich ihn nicht primär angestrebt habe. Mir kam es vor allem darauf an, artgerecht zu leben, meinem Wesen gemäß, also möglichst frei und selbstbestimmt. Ich habe mich beim Schreiben nie gefragt, was ich erzielen oder wen ich erreichen will. Ich wollte mein Schreiben keinem Zweck, keiner Berechnung unterordnen, es sollte sich frei entfalten. Ich habe die Worte zu mir kommen lassen, ohne mit ihnen etwas bewirken zu wollen. Vielleicht habe ich gerade deshalb etwas mit ihnen bewirkt.

Du hast Gedichte und Aphorismen, Erzählungen und Märchen, Geschichten und Romane veröffentlicht. Welche literarische Gattung ist dir von allen die liebste?
Jede fasziniert mich auf ihre Art, aber am liebsten schreibe ich wohl Gedichte.

Was zeichnet in deinen Augen ein gutes Gedicht aus?
Intuitive Wortwahl, emotionale Wahrhaftigkeit, poetische Ausstrahlung, Leichtigkeit und Tiefgang. Ein gutes Gedicht kann unmittelbar und gleichzeitig Herz, Seele und Verstand berühren und Menschen im Innersten bewegen.

Warum veröffentlichst du alle deine Bücher in der alten Rechtschreibung?
Weil ich die neue Rechtschreibung als ein sprachgefühlsarmes Regelwerk empfinde, das in nicht wenigen Fällen die Schriftsprache, zu der ich ein inniges Verhältnis habe, geradezu verhunzt. Als die Rechtschreibreform kam, mußte ich mich nicht lange mit ihr beschäftigen, um zu wissen: So will ich nicht schreiben.

Gibt es etwas besonders Kurioses in deiner Laufbahn als Schriftsteller, an das du dich erinnerst?
Kurios ist sicherlich, daß derart unterschiedliche Printmedien wie DIE ZEIT und die Bild-Zeitung in den achtziger Jahren Gedichte von mir abgedruckt haben. Es hat mir bestätigt, daß meine Poesie von Menschen mit ganz verschiedenen Bildungshintergründen verstanden wird, weil ich sie in einer klaren, offenen Sprache schreibe. Ich finde, daß ein Gedicht unmittelbar verständlich sein muß, um Herz und Seele zu erreichen, daß es auch Denkanstöße geben kann, aber keine Denksportaufgabe sein sollte.

Wie erlebst du den Schreibprozeß?
Da fließen Freude an der kreativen Gestaltung, Spannung auf dem Weg zur Vollendung und Zufriedenheit beim Gefühl des Gelingens ineinander. Den Schreibprozeß vergleiche ich gern mit dem Bogenschießen. Ich versuche, mit Pfeilen aus Sprache den Mittelpunkt einer Zielscheibe zu treffen: der Zielscheibe des bestmöglichen Ausdrucks, des optimalen Wortes zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Treffe ich ins Schwarze, schenkt mir das oft ein Glücksgefühl. Ich glaube auch: Je mehr der Schaffensprozeß mir gibt, desto mehr kann der vollendete Text anderen Menschen geben.

Die Bremer Tageszeitung „Weser-Kurier“ hat dich als „lyrischer Denker und reflektierter Lebensphilosoph“ bezeichnet. Kannst du dich damit identifizieren?
Ja. Philosophie heißt ja nichts anderes als Liebe zur Weisheit. Diese Liebe trage ich schon seit jungen Jahren in mir – und immer aufs neue in meine Bücher hinein. Alles, was ich liebe, was mich fasziniert, was mich betrifft und berührt, fließt früher oder später in meine Bücher. Sie sind buchstäblich ein Ausdruck meiner Lebensinteressen.

Bist du eher ein Philosoph, ein Schriftsteller oder ein Dichter?
Alles zugleich – und auch etwa zu gleichen Teilen. Ich empfinde mich als Schriftsteller mit einer lyrischen und philosophischen Haltung gegenüber dem Leben. Und ebenso als Lebensphilosoph, der seine Erkenntnisse und Einsichten auf poetische, literarische Weise ausdrückt.

Woher nimmst du deine Inspiration?
Aus meiner Seele, aus meinem Bewußtsein. Aus allem, was ich erlebt, erkannt, gefühlt, gelernt und gelesen habe. Aus der Summe meiner Lebenserfahrungen und Einsichten, aus den Quellen meiner Intuition und Phantasie, aus wertvollen Begegnungen mit Menschen, aus der Freude am Spiel mit den Möglichkeiten der Sprache.

Mit welchen Gefühlen blickst du auf deine Vergangenheit als Schriftsteller zurück?
Mit der Dankbarkeit eines Menschen, dessen Mut beim Treffen einer schwierigen existentiellen Entscheidung belohnt wurde. Hätte ich Anfang der achtziger Jahre den Sprung in die Ungewißheiten der hauptberuflichen Schriftstellerei nicht gewagt, wäre das ein fataler Fehler gewesen.

Wie siehst du deine schriftstellerische Zukunft?
Mit entspannter Neugier. Wenn ich die Entwicklung meiner literarischen Möglichkeiten mit dem Besteigen eines Berges vergleiche, habe ich das Gefühl, den Gipfel noch nicht erreicht zu haben. Ich hoffe, ihn erreichen zu können, und bin gespannt, wie es sich dort oben anfühlt, welche Aussicht ich auf das Leben haben werde und wie sich das auf mein Schreiben auswirken wird.


Das Interview fand im September 2018 statt.
Es wurde im Mai 2022 leicht überarbeitet
und auf die wichtigsten Passagen reduziert.
Die Fragen stellte Catherine Ducloux.
© an dem Text by Hans Kruppa und Catherine Ducloux
© an den Photos by Hans Kruppa